Sonntag, 30. Juni 2013

54. fortsetzung "nirgendwo"


gertrude, deren frisbeewurf untrennbar mit der ankunft der rhabarberinnen verbunden bleibt, war auch nicht mehr im bett und sie war nicht die einzige. frau dürr war wach und frau könig saß schon seit stunden im bad, wo sie ihre trockende gesichtsmaske im spiegel beobachtete, wie sie risse bekam. frau dürr saß über ihren büchern und blätterte nach den dazwischen gelegten gepressten trockenen pflanzen, sann nach, wo sie diese denn geflückt hatte, sann nach einem gesicht, als sie ein edelweiß fand, das sie einmal zwischen daumen und finger hingehalten bekommen hatte, das ihr der liebhaber geradezu ins herz pflanzen wollte, was sie aber verhindern konnte, ja, sie hatte ihn abgewiesen, war sie sich sicher, und das edelweiß behalten, ja so ist es. so vertieft bemerkte sie nicht, was im garten im gange war, da sowieso unruhe war, die sie der anhaltenden inspektion anlastete. es wäre ihr auch nicht in den sinn gekommen, das ausgerechnet ihre gartenzwerge, von tipsi verursacht, aus einem missverständnis heraus, die starre form getauscht hatten und sich nun sehr lebendig zeigten. getrude aber sah zu, denn sie stand hinter dem fenster zum garten im parterr und beobachtete wie es heller wurde. die zwerge trieben gerade ein derbes spiel. spatzenfüttern. sie streuten brotkrumen auf ihr mächtiges glied und liesen die spatzen darauf platz nehmen, die zu picken begannen. wer dann einen laut von sich gab, hatte verloren. getrude errötete und ließ die gardine fallen. was hatte sie gesehen? da schaute sie nocheinmal hinaus und fand das treiben fürchterlich. die spatzen hatte sie doch auch immer gefüttert und die zwerge waren bisher eine lustige albernheit in frau dürrs garten. sie wollte nicht mehr hinsehen und setzte sich auf ihr bett und grübelte. das konnte nicht in ordnung sein, zu bett geschickt zu werden und draußen geschieht fürchterliches. "aber deshalb solltest du doch schlafen, bis haus und garten wieder in ordnung sind", hörte sie lanas stimme, ohne das die rhabarberinn anwesend war. inzwischen hatte auch frau dürr gemerkt, das in ihrem garten etwas nicht in ordnung ist. obwohl es die anweisung gab, die inspektion nicht beobachten, sondern schlafend abzuwarten, bis der weckruf kommt, ging sie ans fenster, um nachzusehen. sie fackelte nicht lange, als sie die unanständigen kerle sah. mit bloßen händen, sie hielt die arme während sie rannte weit über den kopf, zum ausholen bereit, schlug sie, als ankam einfach dazwischen. die spatzen hatte sich schon davongemacht, und sie packte sich einen am arm und schleuderte ihn in die hecke. die andere waren schnell davon gerannt und versteckten sich. den zwerg in der hecke packte sie und hielt an den haaren in die höhe. "du lump, wie kommst du in meinen garten?" er flehte sie an, "aber wir sind doch schon immer da, wir sind doch ihre zwerge, sie haben uns doch immer abgespritzt mit dem schlauch, nach dem winter, damit wir im frühjahr wieder glänzen! frau dürr erkannte ihn nun wieder, einen ihrer liebsten zwerge. "wer war das?" schimpfte sie und sah sich um, ob eine der rharbarberinnen in der nähe auftauchte. "soll das die inspektion sein", fragte sie sich, "die treiben doch unsinn, darauf hätte ich mich nicht einlassen sollen" und sie ging ins haus, den zwerg am zwickel, um jemanden zu rede zustellen. es traf sich, das lana und der buchhalter, noch ihm gespräch, gerade aus dem keller kamen. "was soll das?", sie hielt lana den zwerg entgegen und sah den buchhalter erbost an. "das war tipsi, und ich habe schon mit ihr gesprochen", antwortete lana. der buchhalter erklärte, tipsi hätte festgestellt, das im garten unrecht gehandelt worden war, die zwerge hielt sie irrtümlich für gebannte, sie war nicht im bilde, das sie bloß nachgeäffte abbilder aus tonscherben sind, und so wäre ihr das naheliegenste gewesen, den bannspruch sofort aufzuheben, was ihr zwar nicht gelang, sie sich das aber so erklärte, das hier ein ihr noch unbekannter bannspruch wirkte und so hat sie statt aufhebung, ihrerseits das recht auf schöpfung wahrgenommen, rhababerinnen können nicht gebären, sondern sie erschaffen, was ihnen lieb ist, sie hatte sich also vorgestellt, wie aus den figuren, lebendige ungezwungene wichte werden sollen und sie damit erschaffen. die scherben hat sie verschwinden lassen. "aber, sie können hier nicht bleiben, auf keinen fall!", sagte frau dürr, "wenn sie die wichte wollte, soll sie auch einen platz für sie finden. lana beruhigte frau dürr einfach mit ihrer sanftheit "sie wird sie mitnehmen" antwortete sie. lana streckte frau dürr ihre arme entgegen und griff sich den halbnackten zwerg, zog ihn an die brust und sagte "ich bring ihn eben mal zu tipsi und sage ihr, sie soll die anderen suchen, denn wir werden bald reisen". 

"die zwerge trieben gerade ein derbes spiel. spatzenfüttern." 



Mittwoch, 26. Juni 2013

53. fortsetzung "nirgendwo"


die ladestation war erschöpft. kleinkerl hatte sie geplündert. seine lampe war unersättlich. im letzten moment sprang er  an land. die station verabschiedete sich ohne trara mit dem unwirschen gezwitscher, aus dem schnabel des schwanes, der sie begleitete. kleinkerl steckte die lampe in den sack und schnallte ihn um. "wenn ich umkehre, wie lange dauert es, zurück?". "umkehren geht nicht, zurück geht nicht", sagte er und sah an mir vorbei, blieb stehen, sah nach unten und sah mich nach einer weile doch an, "wenn du zurück gehst, endet die allee bald und du fällst in den abgrund", sagte er ruhig, "es geht nur voran". "aber wie weit und wohin, ich wollte zurück und du hast mich auf diesen weg gebracht, aber der führt nicht zurück". "sag ich doch, zurück geht nicht", beharrte er, ohne auf den vorwurf weiter einzugehen. wir gingen weiter und ich dachte, "es wird wohl besser sein, wenn ich mir keine hoffnung mehr mache bald heimzukehren". da fiel mir ein, "wenn die rhabarberinnen schon abgereist sind, vielleicht führt sie dann ihre nächste inspektion hierhoch, immerhin ist das ja auch nicht in ordnung, was kleinkerl da treibt". der gedanke machte mir mut und ich wollte schon ein lied summen, eins das ich auf die rhabarberinnen gedichtet hätte, da kam  uns eine gestalt entgegen, die schon von weitem nicht die holde sein konnte, zu traurig schlürfte sie dahin, in die kutte gehüllt, am stabe, blind und sie hielt die hand zum betteln ausgestreckt, die ganze zeit, obwohl keiner da war der etwas geben könnte. als der bettler fast bei uns war, sah ich das die ausgestreckte hand ein großes rundes loch hatte. "der arme", sagte ich zu kleinkerl, "selbst wenn man ihm etwas gibt, fällt es hindurch".der bettler ging vorbei, als bemerke er uns nicht. ich sah ihm nach und wollte ihm nachrufen. wenn es stimmte, daß die strasse nicht zurück führt, wieso war er nicht längst hinabgestürzt. log kleinkerl mich an? ich wollte es wissen und drehte mich um. "laß das nur", sagte kleinkerl, "du bist nicht er, du wirst nicht weiterkommen, als bis zum zehnten baum. aber bitte halt die augen offen und dreh am abgrund um". ich wollte es nachprüfen. als ich zum zehnten baum kam, sah ich den bettler nicht mehr. ich hatte die strasse im auge behalten. sie endetet tatsächlich, als wäre sie abgebrochen. da unten war nichts zu sehen. kein gewand, das den abgestürzten umflattert, es war alles schwarz. ich drehte mich wieder um und erschrak vor dem bettler, der mich direkt in die augen sah. wie das? er hielt mir die hand so fordernd entgegen, das ich eine münze aus der tasche kramte und sie ihm in die hand gab, wo sie durch das loch fiel, endlos lange fiel. er hielt mich die ganze zeit im auge und so warf ich noch eine münze, und noch eine, da schaute ein wiesel aus dem loch und hielt eine münze im maul. der bettler verwandelte  sich in einen schwarzen schwan. das war der zweite schwan heute, er flog aber anders, er flog mit kräftigen schlägen ganz ruhig davon. ohne noch einmal nach unten sehen, ging ich zu kleinkerl zurück. als wir ein weile gegangen waren, rückten die bäume zusammen und das straßenpflaster endete. die allee war nun ein fußweg geworden. "es ist nicht mehr weit", sagte kleinkerl, "man kann sie schon hören". das erste was ich hörte, war das rauschen in den pappeln, in denen es bisher ja totenstill war. dann schien es, als unterhielten sich viele durcheinander. es war aber niemand zu sehen. und als das durcheinanderreden ebenso plötzlich endete, folgten andere klänge, wie wolken, es murmelte, oder raunte, da jammerte es, dann eine hüstelnde wolke, so ging das eine ganze weile, ohne das etwas geschah. "wir sind da", sagte kleinkerl und gab der letzten pappel einen klapps. "wo sind wir? ich sehe nichts". hinter den letzten bäumen wabberte nebel. kleinkerl faßte mich und wir stiegen in die wiese. der nebel war nicht feucht und kühl war es auch nicht. kleinkerl zog mich plötzlich zu boden und wir lagen beide auf dem rücken im gras, mit der nasenspitze unter der nebeldecke. 

"er hielt mir die hand so fordernd entgegen,
das ich eine münze aus der tasche kramte
und sie ihm in die hand gab, wo sie durch das loch fiel"




Freitag, 21. Juni 2013

52. fortsetzung "nirgendwo"


"laß uns ein zelt aufschlagen. es wird immer kälter und die pappelallee will nicht enden. ich hab' schon versucht, sie mit wellpappe zuzunageln. ich habe dir gesagt, schau, hier ist die welt mit brettern zugenagelt. du hast sie wieder aufgebrochen!". "jetzt jammer nicht!", sagte kleinkerl und schupperte mir die rückenkuhle. ich drückte ihn an mich und wir standen versonnen unter den sternen, die aus ihrem nebel fielen und uns entgegen. "also zelten wir?" kleinkerl bejahte und suchte nach einem platz. "wir müssen an den strassenrand, sonst zertrampelt uns der wilde reiter". "na, er wird's wohl wissen", dachte ich und schaute mich auch um. da sah ich einen platz neben der strasse, zu dem eine planke hinüber führte. "ah, das rasenschiff", sagte kleinkerl, "das soll es sein; vorsichtig über die planke, sonst zappelst du bei den fischen!". "das habe ich schon hinter mir, unter uns ist nichts, kein fisch, garnichts, halt mich nicht für dumm". "mach dir nur mut", sagte kleinkerl "aber fang nicht an zu pfeifen, das kann ich nicht vertragen". wir schafften es über die planke und ich saß erschöpft auf der wiese. "seltsam", sagte ich, "es scheint hier viel wärmer, als eben noch auf der strasse". "kann sein, kann nicht, mein pelz ist nicht so empfindlich. komm rein". er schlug die plane zur seite und ich krabbelte hinein. "kleinkerl, wo bin ich denn jetzt?", denn ein zelt war's nur von außen. kleinkerl hatte es so eingerichtet, daß es aussah, wie ein zugabteil. er grinste, "ab in den süden, der galopp wird dir schon gefallen, hier die karte, dort das geld und hier die reisegesellschaft, voila, der herr mir kinnbart will am ende noch weiter, die dame hier, im kostüm verharrend, trotz steigender temperatur, wird sich beim schlafen in eigenartige stellungen begeben, keine zweideutigkeiten bitte!, und etwas spät, aber noch rechtzeitig, die junge weltenbummlerin". dann war kleinkerl von der bildfläche verschwunden, kam aber einen moment später zurueck. "und hier, voila, die besetzung für die rückreise, eine familie komplett, fünf, zwei halbwüchsige, mädchen um die zehn, vater, mutter, viel gepäck". "lass das doch jetzt mal sein, kleinkerl, ich will jetzt, daß die alle verschwinden, und wir endlich zum schlafen kommen, schmeiß die leute raus, oder besser, laß sie gehen!". "na gut", sagte er, "aber ich hätte dich schon gern auf die reise geschickt". "sind wir bereits", sagte ich, legte mich auf die matte und hörte ihn noch murmeln, als ich einschlief. ich ging an wasserstraßen entlang. jemand mußte die planke entfernt haben. ich sah die allee nicht mehr. "kleinkerl! wir treiben ab!", rief ich. er rieb sich die augen und wunderte sich. "die planke ist fort", bemerkte er, "wir treiben ab". ich sah ins gleisende licht des sterns, dem wir entgegentrieben. "wie kommen wir davon?" "das kommt darauf an, am besten du hilfst mir, meine taschenlampe ist leer und ich kann kein lasso werfen. kannst du nicht nachsehen, ob in deinem dritten auge, etwas energie zum laden übrig ist?". "ich versuche es", sagte ich, aber als ich die lichtringe wabern sah, fand ich ungewohnter weise darin eingebettet, gemalte bilder hindurch ziehen. so lang ich auch wartete, außer der kunst, befand sich dort nichts zur zeit. kleinkerl wartete ab. da knallte eine peitsche. "der wilde reiter", rief kleinkerl, "das trifft sich!". und wirklich, das traf sich, was für ein bild, hinter ihm schwang sich im tutu das mädchen abwechselnd mit dem reiter, unter dem pferd hindurch, warf dabei zettel ab. "ross und reiter fest ist bald" kleinkerl pfiff und ross und reiter stoben heran. das pferd stieg auf und schnaubte, schäumte. der reiter warf ein seil herunter und wir vertauten unser grasschiff, damit er uns ziehen konnte. weit waren wir abgetrieben, denn es dauerte, bis die pappelbäume wieder auftauchten. wieder angedockt, waren wir nahe genug heran, das wir über den abgrund springen konnten.  wir standen wieder auf der allee. das zelt brauchten wir gerade nicht, also ließen wir es dort. kleinkerl meinte "ich geh' jetzt mal aufladen, deine lichtringe waren voller kunst, kam nicht dazwischen, konnte nichts anzapfen, muss heranwinken. siehst du die hellen fünckchen? spring hoch und fang einen!". ich fing ihm einen und er konnte entziffern, wer ihn hergeschickt hatte. eigentlich soll man sie nicht auf's geradewohl vom himmel pflücken, aber kleinkerl konnte sie aus der ferne nicht entziffern. ich musste noch einige punkte fangen, bis kleinkerl überzeugt war, den richtigen zu haben. die nicht gebrauchten warf ich zurück in den höhe, wo sie kurz innehielten, sich einen ruck gaben und wieder ihren alten platz einnahmen. inzwischen war die ladestation angetrieben und machte sich mit gleissender lichtorgel bemerkbar, nachdem sie angedockt war. kleinkerl ging die taschenlampe aufzuladen.

"der reiter warf ein seil herunter
und wir vertauten unser grasschiff, damit er uns ziehen konnte. "





Donnerstag, 13. Juni 2013

51. fortsetzung "nirgendwo"


nach jeder signatur wurde gemessen. "ha! schon wieder im stall gelandet" oder "was willst du den in der kirche?" oder "in dem bett hast du nichts zu suchen!". trieben sie es zu weit, nahm ihnen der lehrer die farbe fort und sie konnten nur noch zusehen. eine signatur führte zu einem einsiedler, den der  teufel besuchte, deshalb ja, aber das wußte der einsiedler nicht. die signaturen nutzen die teufel von beginn ihres erscheinens an. nichts ist dem teufel fremder, als eine öffentliche strasse zu benutzen. sie übertreffen sich in der wahl verschlungener pfade, auf denen sie ohne langeweile, mal hier und schon wieder dort, erscheinen können. obwohl die signaturen nur in dem raum, den der pinsel erreichen kann, ohne erneut farbe aufzunehmen, erscheinen, gelten sie doch darüber hinaus. einmal betreten führen sie weiter. sie sind wie alleen hoch über dem grund, wie stege an den wolken vorbei, auf denen langsam gegangen wird, eile ist nicht von nöten, den der raum bewegt sich unter dem pfad hindurch, ja, der pfad ist ein ruhiger sicherer ort, der zum verweilen einlädt. bleibt man stehen, erscheint auch der raum unbewegt. der weg kann auch hinaus in die sterne führen, selbst dann bleibt die allee gesäumt von den bäumen und die stege behalten ihre handläufe. manchmal geht es durch treppenhäuser. die stunde war vorbei und der lehrer sammelte die farbeimer ein. "geht und kommt wieder", verabschiedete er die schüler und wies auf den ausgang, den wir nacheinander betreten sollten. zum heimkommen genügte es "nach hause!" oder "zurück!" zu sagen und dann die glocke abzuwarten. ich hatte während der stunde nur einmal den pinsel eingetaucht und beim malen merkte ich, wie schwer es mir fiel, die vorgedachte bewegung, wirklich auszuführen. mir gelang ein viertel radius, dann rutsche der pinsel stotternd ab und war plötzlich so langsam, das er tropfte. der lehrer lobte mich trotzallem, obwohl ich glaubte nichts ereicht zu haben. "doch, das ist schon ein weg", sagte er, "sogar ein versonnener, du kommst an den teich zu den enten damit, zum füttern". ausprobieren durften wir die wege nicht. vor der tür der reisekammer standen die teufel schlange. kleinkerl knuffte mich, "willst du mit? ich kenne einen besseren weg. ist doch langweilig mit den türen. kann ja jeder reisen. und sieht nichts. erlebt nichts. tür auf tür zu". ich wollte schnell zurück. "ob die rahaberinnen schon fertig sind? und wenn sie abgereist sind? oh nein". ich mochte sie noch einmal sehen. kleinkerl merkte, das ich am liebsten zur tür gestürmt wäre und vielleicht hätten die teufel mir sogar vortritt gelassen, denn liebesgeschichte rührten sie sehr. also versuchte er mein vertrauen in den weg durch die reisekammer zu erschüttern, indem er sie schlecht machte. "du hast ja selbst gesehen", sagte er mit bedenklicher ernster miene, "du hast doch den maler gesehen, ganz klein und nackt hat er in deinem ohr gesessen, was meinst du warum? der buchhalter hat ihm die reisekammer vorführen wollen und das ding war kaputt. statt zu reisen gings im sturzflug in frau dürrs gute stube, immer kleiner, immer kleiner, und dann klebten sie schon am fliegenfänger". das hatte der maler mir nicht erzählt. wäre aber denkbar. kleinkerl nutzte meinen aufkommenden zweifel an der zuverlässigkeit der reisekammer und griff in die tasche. er hatte eine taschenlampe in der hand. er zwinkerte mir zu und prahlte, "weisst du, ich brauche keine farbe. ich mach das mit licht". er fasste die lampe mit beiden händen und schwang sie durch die luft, wie eben die pinsel. es blieb aber nichts sichtbares zurück. "braucht's auch nicht", erriet er meinen gedanken. "es reicht, daß ich es mir gemerkt habe. ich habe ein gutes gedächtnis und ein empfindliches auge". er hatte mich an die  hand gepackt und zog mich mit einem ruck auf die lichtspur. da waren wir auf einer pappelallee. es pfiff ein wind und blätter wehten herab. "wird herbst sein hier", murrte kleinkerl und wickelte sich den schal um den hals. "du meinst, wir kommen hier zur pension zurück". "na klar, mache nur einen kleinen umweg. hab' letzes mal was liegen lassen. mal sehen ob noch da ist". da der mond aufging und kleinkerl mir einen mantel besorgte, fand ich es nun doch schön hier zu spazieren.

"da der mond aufging
 und kleinkerl mir einen mantel besorgte,
fand ich es nun doch schön hier zu spazieren."



Dienstag, 11. Juni 2013

50. fortsetzung " nirgendwo"


ich stand vor dem spiegel, um den maler in der brosche zu betrachten. da nur der kopf aus der hülle schaute, hätte es auch ein wachsperle sein können. etwas fliegendreck an der richtigen stelle und man meint ein gesicht zu erkennen. ich zog das revers zum mund und sprach ihn an. "ich bin in sorge", sagte ich, "ich werde mir das genick brechen, wenn sie plötzlich wieder wachsen". ich malte mir aus, das es mich schlagartig zu boden reißen würde, wenn er mir, wie der buchhalter vorher, blitzartig seine pfunde auflastete. "ich nehme sie besser da raus". ich wartete die antwort nicht ab und löste ihn aus dem stofffähnchen. er machte sich ganz steif, zappelte garnicht, und ich setzte ihn auf dem tisch ab. ich löste den anstecker und legte ihn zurück in die schale, aus der ihn der buchhalter genommen hatte. dabei hatte ich den maler aus dem blick verloren und musste ihn suchen. er war, so schien es, froh auf den beinen zu stehen, denn er schwang das tanzbein, hoppla, da wäre er fast vom tisch gestürzt. "passen sie auf, wenn etwas passiert, muss ich dafür gerade stehen". ich beäugte ihn. er zeigte auf sein ohr. ich neigte den kopf und er hielt die kleinen hände an den wulst in meiner ohrmuschel. "genug getanzt, wir müssen los!", schrie er hinein. "was für ein schreihals", dachte ich. ich pflückte ihn mir vom ohr und hielt ihn vorsichtig zwischen zwei fingern. "wo soll es denn hingehen?", fragte ich ihn. "unterricht. es ist zeit für den unterricht". wie wollte der kleine maler denn fortkommen und wie hören und reden, er war immer noch ein winzling. "du sollst mich hintragen", rief er. er hatte die klebrige kleidung ausgezogen und sprang mir nackt an die brust. er hielt sich am hemdstoff fest und kletterte an mir hinauf. es dauerte eine weile, da kitzelte es am ohr. ich wollte schon den finger hineinstecken, da wurde mir klar, der maler war mir ins ohr gestiegen. "keine angst, wenn ich wachse, springe ich rechtzeitig raus", machte er mir mut, "aber jetzt musst du mich tragen!" der maler bat mich hinunter in den keller zu gehen. "in den keller?, fragte ich, "zum buchhalter?" "nein, zu dem nicht", antwortete er. ich hoffte die rhabarberinnen wiederzusehen und ging los. im keller war aber niemand zu sehen. der maler juckte mir im ohr. "hoffenlich dauert das nicht mehr lange", dachte ich, denn das jucken war kaum erträglich. vor der richtigen tür angekommen sagte er "da hinein". im raum standen wir schon wieder vor einer tür, zu einer kleinen kammer, kaum breiter als die tür und niedriger als der kellerraum. der maler wollte dahinein. drinnen war es dunkel. "da sind wir, von jetzt ab 1 minute und 34 sekunden", sagte der maler. ich hatte keine uhr. der maler hatte aber schon gestartet und ich hörte es ticken, bis es schrillte. dann wurde es hell und es zeigte sich die dritte tür. "du kannst sie jetzt aufmachen", sagte der maler, "wir sind am ziel". ich öffnete und hätte sie beinahe gleich wieder geschlossen, doch der maler sagte, "hier sind wir richtig, nur hinein, die teufel kennst du ja schon". sie kamen mir bekannt vor. ich schaute mich im klassenzimmer um und entdeckte auch kleinkerl darunter. der maler zeigte auf seinen besten schüler. es war ein junger schlanker teufel mit roten haaren, der nach vorn kam und darauf wartete, das ich ihn anwies. der schüler stand nun nahe genug, um den maler selbst zu hören. sie unterhielten sich vor meinem ohr. es war schwierig zu verstehen, denn eine amsel sang dazwischen. der rote ging und kam mit pinsel und farbe zurück. er sammelte sich. dann lies er den pinsel durch die luft sausen. die elektrische farbe blieb in der luft stehen und der strich endete ganz knapp vor mir, ohne mich zu treffen. die signatur war gelungen. der maler trat aus meinem ohr hervor und sprang auf die linie. er stieg hinab und wuchs allmählich, bis er, als er den boden betrat, etwa die größe von kleinkerl erreichte hatte und weiter wachsend unter den teufeln verschwand. "wer gibt den jetzt den unterricht", fragte ich kleinkerl. "der lehrer", sagte er, "da kommt er". "das ist nicht der maler!" "nein, der maler kommt und geht. der lehrer bleibt zum unterricht" ich setzte mich neben kleinkerl und nahm meine erste stunde.



"der maler trat aus meinem ohr hervor
und sprang auf die linie"




Sonntag, 9. Juni 2013

49. fortsetzung "nirgendwo"


im kasten wagten es die zigarren nicht in rauch aufzugehen. wenigstens sie hielten ihren kostbaren leib, umhüllt vom besten deckblatt und der prächtigen banderole, gefasst, waren charakterstark, wie sich schon die rhabarberstauden erwiesen hatten, und sagten untereinander, "wir doch nicht!". neben dem kasten klapperte der verschluss der karaffe. ich goß mir aber kein glas ein, sondern zog die hand zurück auf die sesselkante. ich sollte ja unter der decke im bett sein, eigentlich, aber wie ich nun bin, ich gehorche nicht. so dachte ich mir, ich könnte doch in ruhe in der bibliothek ausharren. ich saß mit ausgestreckten beinen und sah das mondlicht teile des raumes in helleres licht tauchen. mitten in meinem blickfeld hing von dem kronleuchter ein fliegenfänger herab. der honig glänzte und ich dachte an die see und bernsteine im kalten wasser nach einer stürmischen nacht. als ich so gebannt auf den fliegenfänger sah, fiel mir auf, das neben einer toten brumme etwas zappelte, ein käfer vielleicht, der an seinen harten flügeln klebte und nun versuchte freizukommen. der hing also zwischen den schwarzen fliegen, die ich nicht mochte, mich immer wieder, wenn mich eine im sturzflug angriff, zwingen musste, nicht nach ihr zu schlagen. zwischen diesen biestern hing wahrscheinlich ein hilfloser glänzender käfer. ich ging hinüber und sah aus der nähe hinauf. aber da hing ein mensch und der hielt noch einen anderen am kragen fest. ich zupfte den, der abzustürzen drohte, aus der hand des angeleimten, konnte ihn aber garnicht halten, weil er so unglaublich schwer wurde. so fiel er auf den boden und da stand auch schon der buchhalter neben mir. "tut mir leid!, jungchen, hast dir hoffentlich die hand nicht verstaucht. hier geht's drunter und drüber. da oben hängt der maler fest. ich will sehen, ob ich ihn freibekomme. hilf mir mal!". er sah sich um. "ich brauch etwas zum schaben, nicht zu scharf und nicht zu stumpf. vielleicht ein messer. geh mal zum besteckkasten und nimm ein rundes buttermesser heraus". ich ging um die ecke und griff mir ein messer, das sonst beim frühstück auf dem tisch lag, und reichte es dem buchhalter, der schon den fliegenfänger in der luft hielt und sorgenvoll auf den festgeklebten schaute. der schien gefasst. er hielt jedenfalls arme und beine still. in der hand hielt er noch die jacke des buchhalters, die ihm nun nicht mehr passte. "ich werde dich schon abbekommen" flüsterte der buchhalter, immerhin waren das jetzt winzige ohren, die hören sollten, wie es weiterging. "hilf mir, und halt das mal hoch!". er übergab mir den fliegenfänger und begann vorsichtig zu parieren. "halt dich an meinem finger", flüsterte er. der angeklebte hielt sich dort fest und der buchhalter löste ihn vorsichtig vom streifen. jetzt hätte ihm eigentlich das gleiche geschehen müssen, wie vorhin mir. aber der angeklebte wuchs nicht, wurde somit nicht schwer, konnte nicht auf dem boden landen, denn der buchhalter hielt ihn. "was soll ich nur mit dem maler machen?, so kann er doch nicht bleiben und ich muss mich um den keller kümmern. die rhabarerinnen wissen ja nicht, wie der raum funktionieren soll". der maler, ich war baff ihn so plötzlich doch noch zu gesicht zu bekommen und lebendig, nicht als mumie, wie der fischtäuscher mir glauben machen wollte. der maler klebte nun in der hohlen hand und machte gymnastische übungen. "ich werde ihn aus versehen zerquetschen, er kann dort nicht bleiben", sagte der buchalter, "du musst ihn nehmen. er wird schon wachsen". ihn drängte die zeit und er suchte nach einer lösung, wie er den maler sicher unterbringen konnte in meiner obhut. ihn mir in die hand zu geben, ging ja nicht, also, "aha", sagte er und griff aus frau dürrs krimskrams einen anstecker heraus, einen aus stoff, der berechtigte zum einlaß beim ross und reiter fest, das demnächst anstand. "das geht", sagte er und mit der nagelschere hatte er schnell ein paar schnitte gemacht, den maler gewindelt und gefragt, ob es ihm darin kommod wäre, worauf der nickte. er trat vor mich und sagte "kopf hoch! und pass gut auf ihn auf!". dann steckte er ihn mir an's revers und eilte davon.

"ich zupfte den, der abzustürzen drohte,
 aus der hand des angeleimten"

Freitag, 7. Juni 2013

48. fortsetzung "nirgendwo"


die rhabarberinnen hatten uns zu bett geschickt. wir sollten unter der decke bleiben und abwarten. tipsi begab sich zu den  rhabarberstauden und hockte sich vor die gartenzwerge. lana ging in den keller. es wurde still im haus. die schuhe standen aufgereiht in der diele. ein unsichtbares kätzchen spielte mit den schnürsenkeln. als es aufhörte zu spielen, glitten die senkel aus den löchern und schlichen davon. sie waren jetzt blindschleichen. die blindschleichen schlängelten sich hinaus ins gras und trafen auf die regenwürmer, die, aus der erde gelockt, sich gegen die amseln wehrten. aber als die blindschleichen dazu kamen, verwandelteten sich einige in schnürsenkel und banden den amseln die stelzen zusammen. die amseln flogen mit vollen schnäbeln zu ihren jungen, die sie nicht in den schuhen fanden. verwirrt ließen sie die regenwürmer fallen. die regenwürmer glitten in die ösen und das unsichtbare kätzchen spielte wieder mit den schnürsenkeln. tipsi unterhielt sich mit den gartenzwergen und gestattete ihnen, sich im garten umzusehen. tipsi fand, das auch der rhabarer sich auf und davon machen dürfe, worauf der aber nicht einging. gleichermaßen selbstständig, wie die rhabarberinnen, wollte er pflanze bleiben. tipsi legte sich unter das schattendach ihren verwurzelten verwandten und schnatterte.  dort war es so friedlich, das tipsi blieb und durch einen spalt auf die sterne sah. die zwerge hatten sich davongemacht. sie erkundeten den garten, den sie bisher nur von ihrem standpunkt aus kannten. sie erinnerten sich der pläne, die sie einst schmiedeten,als sie gebannt jedermanns witz oder häme ertragen mußten. einer von ihnen war täglich vom hund angepisst worden. der sann nun auf rache und suchte das tier. die anderen aber waren damit zufrieden zu marschieren und zu singen. sie marschierten mit den laternen zum haus und wollten gerade hinein, den sie hatten jetzt hunger, da trafen sie auf lana, die aus dem keller zurück war. lana erlaubte ihnen, den kühlschrank zu leeren, wenn sie sich nur gleich zurückzögen. bald darauf saßen sie in der gartenlaube und schmatzten und gluckerten und rülpsten. dann pupste einer und die anderen kugelten sich unter dem tisch.

"tipsi unterhielt sich mit den gartenzwergen"



Sonntag, 2. Juni 2013

47. fortsetzung "nirgendwo"



die frisbeescheibe, die gertrude, das ist die älteste von königs, soeben ihrer schwester zugeworfen hatte, aber nicht ankam, weil sie mit wucht in den himmel stieg, wo sie verschwand, nicht einfach verschwand, sondern mit einem lauten knall eine blendung von gertrude verursachte, die laut aufschrie "papa! mein frisbee ist weg". als herr könig sich der weinenden tochter zuwandte, war die scheibe schon wieder zurück. sie lag im gras und herr koenig wollte gerade tröstend sagen, "sieh doch, getrude, sie ist dir abgerutscht. da liegt sie", da begann es im gras zu summen und über der vermeintlichen frisbeescheibe stand eine wabernde durchsichtige glocke. herr könig wollte gertrude nicht weiter ängstigen und griff ins gras, um die scheibe aufzuheben, kam aber nicht an sie heran, weil es die glocke darüber verhinderte. gleichzeitig geschah es, das die räuchermakrele in frau dürrs kühlschrank sich wieder im meer fand, wo sie wegen ihres zustandes vom schwarm gemieden wurde und bevor sie auch nur einen versuch machen konnte, sich im wasser zu erquicken und wiederzuleben, war sie schon wieder in den kühlschrank zurückgekehrt, sammt einwickelpapier, das sie glaubte, im meer, als erstes eilig abgestriffen zu haben. im garten wuchs unterdessen die  scheibe mit der glocke an und über die bordlautsprecher wurden die umstehenden, das waren inzwischen die ganze familie könig und kleinkerl, der sich auf die hörner klopfte, gewarnt. ich folgte frau dürr, die auf dem weg war nachzuschauen, was da in ihrem garten geschah, da tönte es aus der glocke "bitte entfernen sie sich! das schiff befindet sich im angleich und benötigt raum". der vorgang des wachsens verursachte keine panik und gertrude bekam, durch die glocke hindurch von lana, die schon in der tür stand, ihre frisbeescheibe zugeworfen, denn sie hatte sie wärend des anfluges aufgefangen, als die scheibe durch die turbulenzen, die das schiff verursachte, abgelenkt wurde und beinahe mit ihm kollidierte. getrude juchzte und herr könig jubelte. als das schiff groß genug war, verschwand die glocke. lana und tipsi, die beiden grünhäutigen inspektoreninnen, stiegen grazil über die brücke hinab. beide waren schlank und ihre grüne hautfarbe mit den roten adern ließ an rhabarber denken, auch weil saison war, und gerade ein rhabarbernachtisch auf dem büfett gestanden hatte. es waren liebliche wesen, die da dem schiff entstiegen. mein durcheinanderbringender geist schickte schon kleine briefchen ans herz, so das es laut schlug und ich den beiden entgegenrief "rhabarberinnen!, oh endlich darf ich euch sehen". frau dürr knuffte mich. "das sind doch die inspektorinnen. wegen der schwankungen. wie angekündigt. ich sagte es ihnen doch schon".  als lana vor mir stand und tipsi neben ihr, sah ich ihre gesichter und war noch verliebter. sie hatten zwei reizende schnäbel anstelle des mundes, die weil sie so flach ausfielen, kaum grösser als unsere lippen, mir zuerst nicht aufgefallen waren. es waren aber schnäbel, aus quittegelbem horn. die beiden konnten den mund nicht verziehen, nur verschieden weit öffnen.

"rhabarberinnen!, oh endlich darf ich euch sehen"